Interview von Mathias Morgenthaler, Beruf und Berufung, newsnet.ch
Eigentlich wollte sie nur ihrer Kollegin in deren Reisebüro aushelfen, doch kurz darauf war Nathalie Sassine selber Unternehmerin. Mit ihrem Online-Reisebüro webook.ch geht sie neue Wege: Die Beratung findet meist ohne persönliche Treffen statt, ihre sechs Mitarbeiterinnen arbeiten flexibel, aber ohne Fixlohn.
Frau Sassine, Sie haben vor 3 Jahren ohne grosse Vorlaufzeit ein Reisebüro gegründet. Fällen Sie all Ihre Entscheidungen so spontan?
NATHALIE SASSINE: Konstanz war bis jetzt nicht gerade eine hervorstechende Charaktereigenschaft bei mir. Ich studierte nach der Matura zwei Jahre Rechtswissenschaften, dann wurde mir das zu trocken und ich hatte grosse Lust, die Welt zu entdecken – aber leider wenig Geld dafür. So heuerte ich als Quereinsteigerin in der Reisebranche an, arbeitete bei Kuoni und anderen Reisebüros, konnte in der Nebensaison gratis Urlaub machen und lernte viel, beispielsweise über die gewaltigen Naturwunder in Afrika. Dann zog es mich weiter in die Werbung, ich wurde Texterin, machte mich ein erstes Mal selbständig und gründete danach mit meinem Mann eine Agentur.
Wochenlanges Abwägen scheint Ihre Sache nicht zu sein.
Das ist so, ich liebe die drei magischen Buchstaben TUN. Man kann die Dinge so lange analysieren, bis alle Energie aus einer Idee gewichen ist, oder man kann einfach loslegen und sich dann vorantasten. Mit 31 Jahren wurde ich Mutter, und das machte vieles ein wenig komplizierter. Ich fand nach einem Jahr eine Anstellung als Texterin, merkte aber, wie schwierig es ist, als junge berufstätige Mutter in dieser 9-to-5-Arbeitswelt zu funktionieren. Ich brachte problemlos meine Leistung, aber manchmal war mein Sohn halt krank und dann musste ich kurzfristig umdisponieren und eine Nachtschicht einlegen. Da rümpften manche Kollegen die Nase, speziell die Kolleginnen ohne Kinder, was ich sehr bemühend fand. So kündigte ich den Job, machte mich wieder selbständig und lancierte meinen Blog «Rabenmutter».
Rabenmutter?
Den Namen hat mein Mann vorgeschlagen und ich fand ihn perfekt, weil er die vielen Klischees reflektiert, die einem entgegenschlagen. Ich schrieb an gegen all die Vorurteile, die dir begegnen, wenn du als junge Mutter auch eine Frau und eine Berufsfrau bleiben willst. Von einem Tag auf den anderen bekommst du nur noch Babyprospekte mit Tipps zum Stillen und Kind-Füttern mit der Post, bei der Arbeit bist du «die mit dem Kind». Das hat die feministische Seite in mir geweckt. Nebst dem eigenen Blog wirkte ich auch beim Online-Magazin «Clack» mit. Dann kam unsere Tochter zur Welt. Ich genoss die Zeit mit den Kindern, merkte aber auch, dass ich definitiv nicht in der Rolle der Hausfrau und Vollzeitmama aufgehe. Und dann wies mir der Zufall den Weg: Meine ehemalige Chefin eröffnete ein eigenes Reisebüro und bat mich bald um Hilfe, weil es so viel zu tun gab. Mein Mann fand, die Internetseite ihres Reisebüros müsste dringend verbessert werden, und so machten wir uns an die Arbeit. In diesem Moment wussten wir noch nicht, dass wir damit den Grundstein für die eigene Firma legten.
Wie das?
Meine Kollegin fand, die überarbeitete Seite sei für ihre Ansprüche und die ihrer Kunden zu ausgeklügelt, wir sollten doch damit unser eigenes Geschäft lancieren, wir müssten ja bloss noch ein eigenes Logo einsetzen. Wir dachten ein Wochenende darüber nach und entschieden uns dann, den Schritt zu wagen. Was konnte passieren? Das Schlimmste wäre, wenn keine Kunden buchen würden, aber wirklich schlimm wäre das nicht gewesen, da wir keine Fixkosten hatten. Und dann kamen schon am ersten Tag nach der Gründung die ersten Anfragen über Facebook herein, und von da an sind wir nur noch gerannt und hatten gar keine Zeit, so etwas wie einen Businessplan zu erstellen.
Sie hatten ein Reisebüro ohne Büro gegründet?
Ja, webook.ch ist ein reines Online-Reisebüro. Wir beraten die Kunden, nehmen ihnen die Arbeit ab, helfen ihnen, diffuse Reiseträume zu konkretisieren. Die Anfragen treffen über Mail, Facebook, Whatsapp, Skype oder Telefon ein, das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass jeder Kunde bei uns eine fix zugewiesene Beraterin hat, die seine Lebenssituation und Vorlieben kennt – vor während und nach der Reise. Man kann heute ja problemlos 1000 Angebote im Netz finden für alle möglichen Destinationen, aber diese Unübersichtlichkeit macht es sehr schwierig. Die Preise sind intransparent, die Formulare mühsam – versuchen Sie mal, Badeferien zu buchen, wenn Sie mit 3 Kindern verreisen möchten, das ist in vielen Buchungssystemen schlicht nicht vorgesehen. Wir sind viel persönlicher als die anderen Angebote im Netz und deutlich individueller und phantasievoller als die klassischen Reisebüros. Oft beginnt es damit, dass wir in unserem Bekanntenkreis oder im Facebook-Freundeskreis Reisetipps abgeben.
Und Ihre sechs Mitarbeiterinnen sind alles wiedereingestiegene Mütter?
Ja, das sind erfahrene Reiseprofis, die bei webook.ch flexibel wieder einsteigen können. Sie können im Prinzip arbeiten, wann und wo sie wollen, wobei es die Sache natürlich einfacher macht, wenn sie mir Fixtage angeben können. Aber wann und wo sie mit Kunden telefonieren oder Offerten erstellen, spielt für mich keine Rolle. Wir haben Arbeitsplätze in einem Co-Working-Space, wo jede hinkommen kann, aber erwartet wird das nicht. Und wenn mal das Kind krank wird oder ein Arzttermin auf einen Arbeitstag fällt, ist das auch kein Problem. Alle meine Angestellten sind Mini-Unternehmerinnen, sie arbeiten komplett auf Provisionsbasis und erhalten pro verkauftes Dossier eine Kommission. Nach einer Anlaufzeit kommen sie so auf einen branchenüblichen Lohn ohne die üblichen Einschränkungen eines klassischen Bürojobs. Aber natürlich haben sie nicht ihre Kinder auf dem Arm, wenn sie beraten, das funktioniert nicht auf Dauer, da braucht es schon Betreuungslösungen.
Ist auch die Kundschaft vorwiegend weiblich?
Ja, der Frauenanteil liegt bei 90 Prozent, drei Viertel haben Familie. Es hilft enorm, wenn Kundinnen und Beraterinnen wissen, was es heisst, mit Kindern zu reisen. Für meine Mitarbeiterinnen ist überdies praktisch, dass Reisen ein saisonales Geschäft ist mit einer Flaute im Sommer – so haben sie während der Sommerferien mehr Zeit für ihre Kinder. Es ist übrigens nicht so, dass wir Frauen unter uns bleiben wollen, dass ich keine Männer einstellen möchte. Die ersten beiden Versuche sind gescheitert, weil die Männer beide Vollzeit arbeiten und rasch sehr gut verdienen wollten, als unsere Firma noch sehr klein war. Nun werden wir in diesem Jahr die 2-Millionen-Franken-Schwelle überschreiten beim Umsatz und wollen weiter wachsen, ohne Fremdkapital aufzunehmen. Und im Herbst lancieren wir einen eigenen Reiseartikel-Online-Shop. Ja, ich denke, dieses Projekt hier wird mich noch eine ganze Weile begleiten.
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Dieses Interview erschien erstmals am 1. April 2017 im Alpha und Online auf tagesanzeiger.ch, derbund.ch, baslerzeitung.ch.